Die Ausstellung «Schleier & Entschleierung», die vom 28. Oktober bis 16. November 2014 im Zentrum Der MaiHof zu sehen war, regte zu einer differenzierten Auseinandersetzung mit dem zur Zeit kontrovers diskutierten Thema Verschleierung an. Verschiedene Veranstaltungen und Organisationen näherten sich im vielfältigen Begleitprogramm aus unterschiedlichen Blickwinkeln den Bedeutungen und Deutungen dieses Stücks Stoff an.
Kopftuch und Schleier sind längst ein Politikum. Man ist pauschal dafür oder dagegen. Damit wird man aber der Vielfalt der Motive, einen Schleier zu tragen, nicht gerecht. Ein Blick in die Kulturgeschichte des Schleiers trägt zu mehr Gelassenheit bei. Den Schleier hat es von der Antike bis heute in verschiedenen Religionen und Kulturen in unterschiedlichsten Ausprägungen und mit unterschiedlichsten Begründungen immer gegeben. Die Ausstellung «Schleier & Entschleierung» fördert das differenzierte Hinsehen. Sie erzählt in sieben Kapiteln die faszinierende Geschichte des Schleiers. Bis und mit dem Phänomen der verordneten Entschleierung – der Bikini lässt grüssen. Ausstellung und Begleitprogramm laden ein, darüber nachzudenken und zu diskutieren, welchen Platz wir heute in unserer multikulturellen Gesellschaft Körper und Kleidung zugestehen wollen. Nicht nur privat, sondern auch im öffentlichen Raum.
Aktuelle Informationen zur Wanderausstellung finden sich auf der Homepage expositionvoile.
Flyer zu Ausstellung und Rahmenprogramm.
Das Zauberwort heisst Toleranz
Mit einem offenen philosophischen Gespräch über Kleidung wurde die Ausstellung «Schleier und Entschleierung» feierlich eröffnet. Im sehr gut gefüllten Kirchensaal des «MaiHof» berichtete die Ausstellungsmacherin Elisabeth Reichen wie sie auf das Thema kam: «Ich hörte im Radio ein Interview mit der Autorin des Buches ‹Verschleierte Wirklichkeit›, Christina von Braun, und fand, dass man den Inhalt des Buches der Öffentlichkeit präsentieren muss.» Entstanden ist so eine spannende, multimediale Ausstellung, die sich dem in der letzten Zeit heiss diskutierten Thema Schleier und Verschleierung in sieben Kapiteln zu nähern versucht. Die Besucherinnen und Besucher erfahren so etwas über den «Historischen Schleier», den «Natürlichen Schleier» oder den «Politischen Schleier». Ebenfalls wichtig ist das letzte Kapitel, dass der Entschleierung in der westlichen Welt gewidmet ist: «Nur wenn wir unsere eigenen Wurzeln kennen, können wir offen auf andere Kulturen und Religionen zugehen», erkläre Reichen dazu.
Den Mensch hinter Uniform, Schleier und Kleidung sehen
Hauptprogrammpunkt an der Vernissage war die Diskussionsrunde «Sein oder Design?». Am philosophischen Gespräch zum Thema Kleidung nahmen vier Personen teil, die sich mit ihrer Kleidung exponieren: Der Polizist aus dem Maihof-Quartier, eine Kopftuch tragende Muslimin, eine Designerin und ein Kapuzinermönch auf Zeit. Im Gespräch zeigte sich einerseits, dass mit der Kleidung eine Rolle oder Aufgabe verbunden sein kann. Für den Kapuzinermönch war klar: «Über die Kutte identifiziere ich mit dem Orden. Ich trage sie, wenn ich Ordensaufgaben wahrnehme.» Ähnlich formulierte es auch der Polizist: «Die Uniform bedeutet Arbeit.» Die junge Muslimin dagegen trägt den Schleier immer und aus Überzeugung: «Mein islamischer Glaube schreibt mir vor, ein Kopftuch zu tragen.» Obwohl die offene Anlage der Diskussion verschiedene Möglichkeiten geboten hätte – zum Beispiel wie man die Kleidung dazu nutzen kann, um etwas über seine Person oder seine Überzeugungen auszusagen – wurde das Gespräch, als sich auch das Publikum beteiligen konnte, schnell politisch und drehte sich mehrheitlich über das Gebot zur Verschleierung im Islam. Dabei kam die Runde zu einem nicht wirklich überraschenden Schluss, der aber in der hitzigen Debatte nicht genug betont werden kann: Toleranz. Oder mit den Worten des Polizisten, mit denen er spontanen Applaus erntete: «Toleranz ist das magische Wort. Man muss den Menschen hinter der Uniform oder Kleidung sehen.» Dass Toleranz und gegenseitiges Verständnis, die durch die Ausstellung auch gefördert werden sollen, dringend nötig sind, zeigte auch eine Episode aus dem Grusswort von Stadträtin Ursula Stämmer. Sie erzählte, dass sie, als sie in den Ferien im Südtirol von weitem eine Frau mit Kopftuch sah, sofort an eine Muslimin dachte. Sie war dann äusserst überrascht, als sich herausstellte, dass es eine alte Bewohnerin des Tales war. Stämmer wunderte sich sehr über ihr eigenes Verhalten, das Kopftuch sofort mit Islam zu assoziieren, obwohl es vor 50 Jahren auch hierzulande noch weit verbreitet war. (30. Oktober 2014, Daniel Lay)